Die gefühlte Endoprothetik / Knie OP



Die Stunde war gekommen, unaufhaltsam. Ich lag auf dem OP-Tisch und ließ meine Augen kreisen. Vor mir ein grünes Tuch. Oben sah ich einen Teil der OP-Lampe und seitlich unten erkannte ich einen beschichteten Boden. Mein Gesichtsfeld war sehr stark eingeschränkt. Der größte Teil der Wahrnehmungen fand durch das Hören statt. Ein komisches Gefühl.

Das Team kam in den OP und machte Witze. Alle waren sehr gut drauf und die Stimmung war richtig gut. Man wurde von ihr mitgerissen. Ich wurde für den Eingriff hergerichtet. Ein grünes Tuch wurde als Sichtschutz vor mir aufgebaut. Für die Dauer der OP hatte ich mir Songs der 60er und 70er Jahre gewünscht, die mich auf andere Gedanken bringen sollten. Jemand stülpte mir einen Kopfhörer über.

Um mich herum wurde es, bis auf die Musik, ruhig. Das Team arbeitete konzentriert und fast wortlos. Ich merkte, dass sie sehr gut aufeinander eingespielt waren. Die angebotene Musik, bzw. die CDs hingegen waren nicht so optimal. Die erste CD war ok, der Rest hatte einige Aussetzer, einzelne Songs waren gar nicht mehr vorhanden. (Besser die CDs als die Ärzte!) "Nicht weiter schlimm", dachte ich, da ich ja versuchte, mich auf das Umfeld, auf das Geschehen um mich herum und auf meine Gefühle zu konzentrieren.

Elektrische Maschinengeräusche drangen an mein Ohr. Ich glaubte zwischen Elektrosäge, Bohrmaschine und Handfräse unterscheiden zu können. Etwas geschah mit meinem Knie, das sie gerade bearbeiteten, aber ich spürte überhaupt nichts. Ich hörte Schläge auf Metall, so ein "Kling-Geräusch" und wurde ganz leicht durchgeschüttelt. Auf die unmerklichen Körperbewegungen musste ich mich gezielt konzentrieren, damit ich sie überhaupt mitbekam, so weich und leicht waren die Erschütterungen. Ich glaubte zu wissen, wo sich der Penis befinden sollte, aber gefühlsmäßig war er gar nicht vorhanden. Später im Aufwachraum tastete ich vorsichtshalber mit den Händen nach ihm - er war noch da, aber zu diesem Zeitpunkt war er kein Bestandteil meines Körpers. In dieser Region fühlte ich überhaupt nichts mehr. Von der Hüfte abwärts lag ich in einer Geleemasse, so täuschte es mir mein Hirn jedenfalls vor. Obwohl ich Herr meines Oberkörpers war und im Hüftbereich noch etwas spürte, wenn auch nur ganz leicht, schwanden die Wahrnehmungen mit jedem Millimeter in Richtung Füße. Es war emotionell nichts da! Überhaupt nichts!



Irgendwann wurde es dann hektisch! Im ersten Moment wusste ich gar nicht, worum es ging und ich erschrak. Blitzschnell wurde alles um mich abgebaut und ich wurde in den Aufwachraum geschoben. Mit Blick auf die Raumuhr stellte ich fest, dass zwei Stunden seit OP-Beginn vergangen sind. Ich hatte gar nicht mitbekommen, wie die Zeit verflogen ist und war erstaunt, dass der Eingriff volle zwei Stunden dauerte. Die gefühlte Zeit war wesentlich weniger.

Und schon wieder war Hektik um meine Person angesagt. Wieder einmal wusste ich nicht, warum, wo ich mich doch saugut fühlte! Hatte ein so wohliges Empfinden und große Lust zum Schlafen - es war ein sehr angenehmer Zustand. Einfach super. Ich hätte die ganze Welt umarmen und alle Menschen lieben können.

Die Schwester jedoch stand vor mir, Entsetzen in den Augen, und befahl mir: "Tief durchatmen! Tief durchatmen!" Mir war nicht ganz klar, was sie von mir wollte, ich befolge aber trotzdem ihre Anweisungen. Als sie dann wegging, wollte ich wieder schlafen. Umgehend bekam ich wieder die Aufforderung "Tief durchatmen! Tief durchatmen!" - da der Piepton aus dem Überwachungsgerät neben mir sich wieder bemerkbar machte. Das Spiel ging eine Weile so hin und her. Dann marschierten mehrere Ärzte vor meinem Bett auf. Sie berieten sich und mir wurde der Tropf mit den schmerzstillenden Medikamenten abgenommen. Mit der Zeit ließ man mich dann endlich in Ruhe.

Mein Körper beruhigte sich langsam. Die starken Schmerzmittel bewirkten in meinem Blut eine Absenkung des Sauerstoffgehaltes auf unter 70%. Das war wohl die kritische Grenze. Ein verminderter Sauerstoffgehalt im Blut bewirkt ein nicht mehr Wachwerden, wenn man eingeschlafen ist! Wobei man sich aber super wohl fühlt ...



Ich sah mir die Rangiererei im Aufwachraum an. Irgendwie stellte ich hier wohl alles auf den Kopf! Da ich anscheinend zu lange einen Bett-Parkplatz in Anspruch nahm, gab es immer wieder Platzprobleme. Die Schwester und der Pfleger hatten dennoch die Situation im Griff. Sie mussten nur hier und da etwas mehr rangieren. Insgesamt hatte ich volle fünf Stunden in diesem Raum verlebt, bis ich dann endlich aufs Zimmer gebracht wurde.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich einfach nur Hunger. Auf die Nachfrage "wie sieht es denn mit Abendbrot aus?" erntete ich nur ein Lächeln. Nein, es gäbe kein Abendbrot. Mit den vielen Medikamenten bzw. Schmerzmitteln im Körper behielte ich eh nichts bei mir. Irgendwann am Abend hatten sie aber wohl Mitleid und gaben mir einen Zwieback und eine Tasse ungesüßten Tee. (Wenn man Hunger hat, ist man dankbar für alles, was man bekommt.)

Die Nacht überstand ich gut - wenn auch ausschließlich in Rückenlage.

Ende gut, alles gut.

Albert ⋅ Mai 2008 * Redaktionelle Aufbereitung Ute Z, / Foto: © Albert Ackermann




Das getackerte Knie, ...
Kann nur warnen, die Bilder sind nichts für Leute mit schwachen Nerven.
Bitte, die Warnung ist sehr ernst gemeint!