Februar bis Mai 2007
100.000 Jahre Sex Über Liebe, Fruchtbarkeit und Wollust
Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, hier wird es gezeigt. Von der Steinzeit bis ins 19. Jahrhundert führt unser Gang durch die Geschichte der Sexualität. Machen Sie sich auf eine Reise mit Überraschungen gefasst. Die bunte Palette der rund 250 Exponate aus 60 europäischen Museen reicht von steinzeitlichen Figuren mit übergroßen Geschlechtsteilen bis hin zu neuzeitlichen Bildern mit deftigen Sexszenen.

Some like it hot - 100.000 Jahre Sex



Teil 1: Die Anreise
Also, so einfach ist das alles nicht.
Da will man samstags ganz zwanglos und voll Vorfreude eine Ausstellung besuchen und was ist?
Da muss ein Baggerführer zwingend an diesem Samstag vor der Firma eine 5-Zentner-Bombe aus dem 2. Weltkrieg finden, so dass der pünktliche Feierabend in Frage gestellt ist! Jetzt ist Holland in Not und somit der Ausstellungsbesuch unter ferner liefen, weil die Stunden unaufhaltsam dahin rinnen.

Die Frage kommt auf "Ist das überhaupt noch zu schaffen, zum abgesprochenen Zeitpunkt vor dem Museum im Neandertal zu sein?" Irgendwie haut das tatsächlich hin, die Autobahn ziemlich zeitig zu erreichen.
Jetzt kann eigentlich nichts mehr passieren. Aber die Rechnung ohne die anderen Autofahrer gemacht zu haben, die auch unterwegs sind, ist ein fataler Irrtum! Schon ist der erste Stau in Sicht.

Da stehen Schilder die darauf hinweisen, dass irgendwo weiter vorn ein Unfall passiert ist. Stau auf allen drei Fahrbahnen! Nichts geht mehr. Bye Neandertal-Museum, schön wär's gewesen. Nach etlichen Kilometern löst sich der Stau und es geht flott weiter, vom Unfallgeschehen nichts zu sehen. Vielleicht hat auch nur jemand vergessen, die Warnschilder wegzuräumen. Auf geht's erneut in Richtung unserer Ahnen. Wäre da nicht der weiße Mercedes, der eine vollendete Pirouette quer über die 3er-Spur drehen muss! Eine wahrlich coole Einlage des Fahrers, der aber unverletzt am Straßenrand steht und auf die Polizei wartet, die auch schon laut- und lichtstark von hinten angeprescht kommt. Allgemeiner Stillstand auf dem Asphalt. Irgendwann löst sich der Knoten und es geht weiter. Ausstellung, wir kommen! Die Ausfahrt ist erreicht. Durchatmen und Erleichterung, weil, jetzt kann nichts mehr schief gehen und die Zeit ist uns trotz allem ziemlich hold.
Wäre da nicht dieser Geländewagen, der mitten in der Ausfahrt parkt ...
Binnen einer zehntel Sekunde ist es stockduster, grottenfinster! Das Gefährt brennt lichterloh und durch den sich verteilenden Qualm wird die Gegend in Schwarz gehüllt, während der Fahrer ein paar Meter weiter weg steht und seelenruhig telefoniert. Kein Warndreieck vor der Feuerbrunst, kein Löschversuch, kein gar nichts! Jetzt heißt es Sauerstoff tanken, die Luft anhalten und im Blindflug langsam tastend an dem Malheur vorbeizufahren.
Nun gibt es aber kein Aufhalten mehr. Ein paar Strassen nach rechts und links und schon ist das Ziel erreicht. Haben sich die 70 Kilometer Fahrt in gut zwei Stunden gelohnt?



Teil 2: Die Ausstellung
Es findet eine nette Begrüßung im Inneren des Museums statt. Da steht ein freundlich lächelnder Herr aus frühen Zeiten inmitten des Foyers, unbekleidet und auf einen Stab gestützt. Als wolle er sich die erstaunten Gesichter der Gäste zu Gemüte führen. Man fühlt sich tatsächlich irgendwie durch Herrn Neandertal beobachtet. Er verweilt allerdings nicht mit erhobenem Zeigefinger dort und warnt auch nicht vor allzu erotischen Gedanken beim Ansehen der Auslagen. Nun ist diese Ausstellung wahrlich nicht zur Belustigung der Besucher gedacht, sondern sollte als ernstzunehmende und geistige Bereicherung verstanden werden.

Für jemanden der diese gezeigten Kunstgegenstände nicht gesehen hat, ist es unvorstellbar, mit welchen Mitteln und Materialien die Menschen in grauer Vorzeit ihre Vorstellungen von Liebe, Fruchtbarkeit und Wollust für die Ewigkeit festgehalten haben. Ein bisschen Übertreibung gehörte einst schon dazu, als die begnadeten Kunstschmiede die Phalli erschufen. Beim Spaziergang durch die Jahrtausende bestechen die "Schmuckstücke der Männer" mit Übergröße. Im Vergleich zu einem Mann sind sie ebenso groß, wie der Mann selbst.

Die Furcht vor bösen Mächten, als Beispiel "Der böse Blick" war im Altertum weit verbreitet. Ein Begriff für einen so genannten Schadenszauber. Allein durch Blickkontakt mit Mitmenschen, die den bösen Blick besitzen, würde Tod oder Unheil, ein Fluch, eine Verwünschung oder eine Verhexung ausgelöst. Gegen diese dunklen Mächte halfen, so dachten zumindest unsere Ahnen, Phallusamulette. Selbst Kupfermünzen aus den ersten Jahren nach Christi zeigen erotische Darstellungen. Die Erforschung historischer Einstellungen und Verhaltensweisen zur Sexualität ist faszinierend, aber nicht unproblematisch. Nicht für jeden Zeitraum gibt es schriftliche Quellen.



Alles in allem: Augenmerk der Ausstellung sind jedoch die Phalli. Die Macht der Männlichkeit ist all gegenwärtig. Ob sie nun auf Gebrauchsgegenstände oder an die Wände gemalt sind.
Überschwä(e)nglich sind sie allemal.

Vor etwa 150 Jahre wurden zum erstem Mal Darstellungen nackter Frauen in eindeutiger Pose, "Sheela na Gigs", durch John O'Dovovan (bedeutender Altertumsforscher) an mittelalterlichen Kirchen Irlands wahrgenommen. Zuerst glaubt Mr. O'Dovovan an heidnische Skulpturen. Die gegenwärtige Forschungsmeinung ist, dass sie als "Warnung gegen die Wollust" an Kirchen angebracht wurden. 70 Kilometer Fahrt in gut zwei Stunden - es hat sich wirklich gelohnt! Die Ausstellung war sehr interessant und lehrreich. Was es da zusehen und lesen gab, steht in KEINEM Lehrbuch.

Ute Z. / Wesel

Erstveröffentlichung in der TT@WEST! GazeTTe
Museum Neanderthal * 14. April 2007